Trauma

Die Erforschung von Traumafolgen auf der seelischen und körperlichen Ebene hat in den letzten 30 Jahren viele neue Erkenntnisse gebracht, was zu Entwicklung und Etablierung von neuen heilsamen Therapieformen geführt hat. In der Psychotraumatologie als wissenschaftliche Disziplin werden die Traumadynamiken und ihre Behandlungsmöglichkeiten erforscht. Auf der einen Seite wächst damit rasant das Wissen über Trauma und auf der anderen Seite wird dieser Begriff  leichtfertig und nicht differenziert genug verwendet. Trauma und Stress hängen unmittelbar zusammen, beide sind komplexe psychosomatische Prozesse, die gleichzeitig sehr inflationär verwendet werden. Wir sind als Menschen grundsätzlich dafür geschaffen, mit Stress und Belastung umgehen zu können. Hier gilt es daher, präzise und klar zu unterscheiden, zwischen sehr großem aber zeitlich begrenztem Stress, chronischem Stress und traumatischem Extremstress. Denn daraus resultieren unterschiedliche Dynamiken. Die Betrachtung von protektiven wie auch individuellen Vorraussetzungen jedes Menschen spielen auf dem Heilungsweg ebenfalls eine sehr wichtige Rolle, denn sie sind entscheidend für die Integration von Trauma.

 


Mir liegt es am Herzen, verständlich und fachlich versiert auf die Komplexizität des Begriffes Trauma einzugehen, um Klarheit für die Betroffenen zu transportieren. Eine nicht traumatische Verarbeitung von einem belastenden Ereignis mit hohen Stresspotential bedeutet, dass das Ereignis assoziiert (zusammenhängend) in uns abgespeichert wird. Es wird zu einer Lebenserfahrung, die zwar mit einem großem Schrecken verbunden ist, aber einen Anfang, einen Verlauf und ein Ende hat, jederzeit vollständig erinnerbar ist, und in uns integriert ist. 
 

Die Verarbeitung von traumatischen Geschehen ist gänzlich anders. Das Trauma beginnt in dem Moment, wo das Erlebte mit so einer hohen Stressladung (Überlebensenergie) beantwortet wird, dass es nur unverarbeitet, also dissoziiert in Fragmenten in unserem System aufbewahrt werden kann. Alle diese Fragmente tragen diese hohe traumatische Stressladung so lange bis sie in unser System integriert werden können. Diese Fragmente sind lebenslang triggerbar. Das können Gräusche, Gerüche, visuelle Reize aber auch Körperempfindungen sein, die wir nicht bewusst erinnern. Durch die Auslösereize (Trigger) im Hier und Jetzt wird die Verbindung über diese dissoziierten Fragmente zu unserer traumatischen Vergangenheit hergestellt. Das traumatische Geschehen ist als Ganzes mit all seinen Nuancen nicht erinnerbar und für unser Bewusstsein zu unserem Schutz nicht gänzlich zugänglich.

 


Ein psychisches Trauma ist also nicht das Ereignis selbst, sondern es sind die Folgen, die dieses Ereignis im Körper und in der Seele des Menschen hinterlässt. Trauma ist somit etwas ganz individuelles. Der eine Mensch kann ein Ereignis als großen Schreck erleben, für den anderen nimmt die gleiche Situation ein traumatisches Ausmaß an. Entscheidend dafür sind die ganz individuellen Möglichkeiten zur Verarbeitung und Bewältigung dieses Extremstresses, dem der Mensch ausgesetzt ist. Wenn die Intensität des Ereignisses so eine überwältigende Wucht besitzt, dass die Betroffenen sich dadurch in Ohnmacht und Hilflosigkeit gefangen fühlen, führt dies zum Gefühl der absoluten Ausweglosigkeit und Ausgeliefertseins. Dieses hat zur Folge, dass nun unser autonomes Nervensystem das Ruder übernimmt und alles, was ab dann passiert, einzig und alleine unserem Überleben dient. Das Überleben wird gesichert, aber es hinterlässt gleichzeitig schwere Folgen im Körper und in der Psyche der Betroffenen. Das Erlebte findet kein Ende und die mobilisierte Überlebensenergie kann somit nicht abgebaut werden, das Nervensystem kann sich nicht selbstregulieren.


Daraus ergeben sich Phänomene wie Flashbacks, autonome Emotionen, autonome Körperempfindungen oder autonomes Verhalten. Diese können durch Trigger, die wie Brücken in die traumatische Vergangenheit fungieren, jederzeit ausgelöst werden. Sie machen die Wucht der Überlebensenergie von damals im Hier und Jetzt sehr deutlich spürbar. Für Betroffene sind diese Dynamiken stark belastend.

 


Hier ist mir wichtig zu sagen, dass die Traumadynamiken keine pathologischen Auswirkungen, sondern natürliche neurobiologische Antworten unseres menschlichen Wesens auf traumatischen Extremstress sind. Die Betroffenen sind Überlebende eines Traumas und leiden an den Traumadynamiken, die durch das erzeugte Leid hohen Krankheitswert haben. In ihrem Ursprung waren diese Dynamiken normale autonome Reaktionen des Körpers und der Psyche auf unnormale Ereignisse.


Es gibt Ereignisse, die für nahezu jeden Menschen traumatische Folgen haben. Gleichzeitig gibt es subtilere Ereignisse, die mit dem Begriff Trauma nicht unbedingt in Verbindung gebracht werden. Es gibt viele Traumaarten, die ich hier als Begriffe benenne: Monotrauma, Schocktrauma, Sequentielles Trauma, Komplextrauma, Entwicklungstrauma, Bindungstrauma, Akuttrauma, ,,man made Trauma", Verlusttrauma, Kriegstrauma, medizinisches Trauma, sexuelles Trauma, kollektives Trauma, transgeerationalles Trauma. Es wird differenziert, ob traumatisches Geschehen einmalig oder wiederholend stattgefunden hat, ob es kurz oder langandauernd gewesen ist, auch ob es durch Naturgewalten oder durch Menschen, oder sogar durch Bindungspersonen verursacht wurde. Das Alter, in dem die Traumatisierung stattgefunden hat, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Der ICD 11 als amtliche Klassifikation der Krankheiten unterscheidet daher seit kurzem auch zwischen PTBS und komplexer PTBS als Folge von Traumatisierung. 

Die Erforschung von Kindheitstraumata, zu denen Bindungs- und Entwicklungstraumata gehören, liefert hier mittlerweile eindeutige Ergebnisse. Wenn Babys auf die Welt kommen, sind sie nicht in der Lage, sich selbst zu beruhigen, da ihr autonomes Nervensystem noch nicht vollständig entwickelt ist. Sie sind auf die Coregulation einer sicheren Bindungsperson angewiesen. Daher ist diese Phase im menschlichen Leben besonders verwundbar. Wenn die Bindungspersonen nicht zuverlässig sind und die Bedürfnisse des Säuglings nicht feinfühlig erkennen und damit nicht erfüllen können, bedeutet es für ihn, dass er traumatischem Stress ausgesetzt ist. Die Wahrnehmung dafür ist in der Gesellschaft leider noch nicht sehr ausgeprägt. Die Kindheitstraumata wurden trotz sehr guter wissenschaftlicher Forschungslage leider im neuen ICD11 noch nicht abgebildet. Das ist insofern tragisch für betroffene Kinder und Jugendliche, da sie unter Traumafolgen leiden aber ihre Symptome womöglich anders diagnostiziert werden und sie daher häufig keine traumakompetente Therapie als Unterstützung bekommen.

 


Um mit Trauma weiter leben zu können, entwickeln sich Anpassungsleistungen, die mit der Zeit essentiell für die Bewältigung des Alltags werden. Diese Bewältigungungsstrategien kosten im Lebensverlauf sehr viel Kraft. Diese Kraft fehlt an anderer Stelle, um alltäglichen Stress, Umbrüche oder Krisen im Leben zu bewältigen. Damit ist das System der Betroffenen schwer belastet und gerät in chronische Überforderung. Diese führt häufig zu den unterschiedlichsten Symptomen, die mit psychischen Diagnosen wie Angststörung oder Depression verwechselt werden können oder auf der Körperebene zu medizinisch nicht erklärbaren Schmerzen oder Erschöpfungszuständen. Unter Belastung im Alltag treten dann typischerweise Schlafstörungen, dissoziative Phänomene wie Funktionieren ohne zu fühlen, sich fremd bestimmt fühlen oder verletzende Verhaltensmuster wie Suchtdruck oder Aggressivität noch stärker zutage, ohne dass die Betroffenen etwas dagegen unternehmen können. Auch wenn das Versuche sind, zu heilen, so sind sie gleichzeitig sehr kräftezehrend, weil sie die Gefühle von damals aktivieren: Ohnmacht, Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit, Ausgeliefertsein.

 

Bei der Therapie von Menschen mit traumatischen Erfahrungen geht es vor allem darum, die Folgen der Traumatisierung zu minimieren. Die Traumatherapie verläuft nach der Definition der deutschen Traumastiftung in drei Phasen: Stabilisierungsphase, Aufarbeitungsphase und Integrationsphase. In der Theorie bauen diese Phasen logisch aufeinander auf. In der Praxis verläuft die Therapie sehr individuell, immer angepasst an die Bedürfnisse der Betroffenen. Es ist ein lebendiger Prozess mit der Grundüberzeugung, dass alles, was sich im Prozess zeigt, einen Sinn ergibt und willkommen ist. Das ist meine Haltung und das ist, wofür ich an der Seite der Menschen stehe. 
 


Ich begreife den Heilungsprozess eines jeden Menschen als einen sehr persönlichen Weg, der die Integration des fragmentierten traumatischen Erlebten zum Ziel hat. In diesem Prozess lernen die Betroffenen die Grundlagen über Trauma und seine Dynamiken und sie entwickeln ihre eigene Kompetenz, die emotionalen Zustände immer sicherer zu regulieren. Mit Unterstützung durch meine Coregulation erlernen die Betroffenen verschiedene Selbstregulationsmöglichkeiten, die ihrem Wesen entsprechen. Somit erfahren sie durch eigene Handlungsfähigkeit immer spürbarer, dass es einen Weg gibt — auch aus scheinbar aussichtslosen Situationen.

Zuversicht und Lebensfreude dürfen dann allmählich in das Leben zurückkehren. Die Betroffenen sind ihr Leben lang Traumaüberlebende, aber sie fühlen sich dank traumakompetenter Therapie den Traumadynamiken nicht mehr ausgeliefert, sondern werden zu Experten für den Umgang mit diesen und mit sich. 

Copyright © 2024 Rosita Bock Heilpraktikerin für Psychotherapie und Diplom-Biologin

Alle Rechte vorbehalten.